Pioniere des modernen Holzbaus

Elias Baumgarten
8. Februar 2024
Foto: Dennis Yulov
«Wir haben versucht, den Holzbau zu aktualisieren, zu modernisieren und ihm eine architektonische Kraft zu geben.»

Christian Sumi

Heute hat der Holzbau Hochkonjunktur: In Zeiten der Klimakrise entstehen allerorten Gebäude aus Holz – Wohnhäuser, Kindergärten, Schulen und neuerdings sogar Hochhäuser. Zahlreiche Bücher erklären Architektinnen und Architekten, wie man mit dem beliebten Material baut. Das verwundert nicht: Holz ist ein regionaler, nachwachsender Rohstoff und bindet CO2. Richtig verbaut kann es zudem gut recycelt werden. Ausserdem sorgt das Material auch noch für ein behagliches, gesundes Raumklima. Und doch stand der Baustoff nicht immer so hoch im Kurs: Als Marianne Burkhalter und Christian Sumi in den 1980er-Jahren begannen, Holzbauten zu entwerfen, schwammen sie gegen den Strom. Projekte wie ihr 1986 geplantes Einfamilienhaus in Langnau am Albis waren dazumal eine echte Rarität. Inzwischen jedoch ist die baugeschichtliche Bedeutung dieses Pionierbaus sogar vom Schweizer Bundesgericht anerkannt: 2021 verbot es den Eigentümern, das Baudenkmal mit charakteristisch gekrümmten Fassaden abzubrechen, denn das Haus sei «schützenswert als hochstehender Zeuge der architektonischen Entwicklung im Holzbau». Jetzt erhalten Marianne Burkhalter und Christian Sumi für ihre zukunftsweisende Architektur den Prix Meret Oppenheim.

Siedlung «Sunnige Hof», Zürich, 2012 (Foto: Heinz Unger)

Kennengelernt haben sich die beiden 1980 in Zürich. Nach der Gründung ihres gemeinsamen Büros vier Jahre später begannen sie, materialsparende Konstruktionen aus Holz zu entwickeln. Dabei standen sie unter dem Eindruck der Debatten der 1970er-Jahre. Damals wurden nicht nur autoritäre Strukturen, überkommene Rollenbilder und konservative Wertvorstellungen hinterfragt, sondern man thematisierte auch zum ersten Mal die Umweltzerstörung. Zur selben Zeit machte die Schweizer Holzindustrie grosse technische Fortschritte. Für Burkhalter Sumi kamen sie wie gerufen, erinnerten sie sich vor Jahren während einer Gesprächsrunde an der ETH. 1994 zum Beispiel verwirklichten sie im Auftrag der Stadt Zürich einen Forstwerkhof in Rheinau als hölzernen Modulbau, was damals überaus fortschrittlich war.

Die Anlage, die aus einer Garage, einem Verwaltungsbau und einer offenen Halle besteht, ist in kräftigem Rot gehalten, jener Farbe also, die bald zum Markenzeichen des Duos werden sollte – zum Beispiel beim 1994 gebauten Kindergarten der Vorarlberger Gemeinde Lustenau oder dem spiralförmigen Erweiterungsbau des Hotels Zürichberg, der nur ein Jahr später fertig wurde. Bemerkenswert ist, dass Burkhalter Sumi bei ihren farbigen Holzbauten stets darauf verzichtet haben, das Material in seiner Natürlichkeit zu zeigen, wie Marianne Burkhalter 2006 in einem Interview sagte. Das unterscheidet ihre Gebäude von einigen aktuellen Beispielen, bei denen Holz manchmal sogar unbehandelt bleibt. Womöglich trugen ihrer ausdrucksstarken Bauten mit zur heutigen Popularität des Holzbaus bei und inspirierten andere, sich mit dem Material zu befassen. 

Eine besondere Leistung des Duos ist daneben auch seine frühzeitige Auseinandersetzung mit Adaptive Re-use, also der Umgestaltung bestehender Bauwerke, sodass diese erhalten werden können: Schon 2019, als die Arbeit mit dem Vorhandenen noch nicht wie gegenwärtig in aller Munde war, bauten sie die Zürcher Stadthalle, die zwischenzeitlich als Parkhaus gedient hatte, für Schweiz Tourismus zu einem Bürogebäude um.

Umbau Stadthalle Zürich, 2019 (Foto: Heinz Unger)

Nicht nur in der Schweiz, sondern auch im Ausland brachten ihre zukunftsweisenden Projekte Marianne Burkhalter und Christian Sumi Anerkennung und Wertschätzung ein: Sie bekamen Gastprofessuren in den Vereinigten Staaten, in Grossbritannien und in Schottland. Auch in der Schweiz gaben sie ihre Haltung an junge Architektinnen und Architekten weiter: Von 2008 bis 2018 hatte das Duo einen gemeinsamen Lehrstuhl an der Accademia di architettura in Mendrisio inne. Ausserdem beteiligten sich die beiden an zahlreichen Ausstellungen, hielten Vorträge, forschten, schrieben – etwa über Le Corbusier, die Schweizer Moderne, die Gotthard-Landschaft oder den Citroën DS – und sassen in Jurys. 2014 und 2018 nahmen sie an der Architekturbiennale von Venedig teil.

Wohnhaus «Wannenholz», Affoltern, 2016 (Foto: Heinz Unger)

Marianne Burkhalter und Christian Sumi haben die renommierte Auszeichnung für ihre Architektur und ihr vielfältiges Engagement verdient. Ihr Werk führt vor Augen, dass manche Architektinnen und Architekten bereits seit Jahrzehnten an der Bauwende arbeiten, ohne viel Aufhebens darum zu machen. Schliesslich ist die Umweltzerstörung bereits seit den 1970er-Jahren Thema und vor dem Klimawandel wird seit den 1980er-Jahren gewarnt. So dokumentierte etwa der Schweizer Fotograf Daniel Schwartz schon damals die Folgen. 

Ihr Büro übergaben Marianne Burkhalter und Christian Sumi unterdessen 2021 an die langjährigen Partner Yves Schihin und Urs Rinklef, die es heute unter dem Namen Oxid Architektur führen. Mit Projekten wie der Wohnanlage Casa di ringhiera in Bellinzona oder der Siedlung Waldacker in St.Gallen, die jüngst bei unserer Publikumswahl zum «Bau des Jahres» Rang zwei belegte, bleiben Letztere der ökologischen Haltung von Burkhalter Sumi treu. Der Prix Meret Oppenheim wird am 10. Juni in Basel feierlich übergeben. Ausgezeichnet werden dann auch die Kunsthistorikerin Jacqueline Burckhardt und die Künstlerin Valérie Favre. Das Bundesamt für Kultur (BAK) verleiht den Schweizer Grand Prix Kunst heuer zum 24. Mal.

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