MICHAELJOSEFHEUSI GmbH Tages- und Kunstlichtplanung

Gestalten mit Tageslicht

Michael Josef Heusi
28. März 2024
Michael Josef Heusi ist Lichdesigner und Innenarchitekt. Er kritisiert die Belichtung vieler zeitgenössischer Schulbauten als unzureichend. Anders die Schule Halden von Guignard & Saner Architekten aus dem Jahr 2018, an der sein Büro mitarbeitete: Hier erhalten die Klassenzimmer von mehreren Seiten Tageslicht. (Foto: Roland Bernath)

Seit 2019 ist die Norm SN EN 17037 «Tageslicht in Gebäuden» in Kraft. Angesichts der Normenlast im Bauwesen mögen Planende aufstöhnen und sich wünschen, dass die Vorgaben weniger anstatt mehr werden. Dazu ist zu sagen, dass durch diese relativ neue Norm andere Normen und Richtlinien abgelöst werden. In der Schweiz ist dies zum Beispiel die SLG Richtlinie 101 «Innenraumbeleuchtung mit Tageslicht» oder die vielfach zurate gezogene deutsche Norm DIN 5034 «Tageslicht in Innenräumen». Salopp gesagt, aus zwei mach eins.

Darum ein Aufruf an Architekt*innen, Lichtdesigner*innen, Innenarchitekt*innen, Bauphysiker*innen und weitere Planende, die sich ums Tageslicht kümmern: Die SN EN 17037 ist eine Chance, ein wunderbar getretener Steilpass, spannende Architektur zu entwickeln, der den Nutzer*innen und Bewohner*innen zu mehr Lebensqualität, Behaglichkeit und besserer Gesundheit verhilft. Richtig umgesetzt, ist die Norm ein Rezept gegen unreflektierte, pseudo-energieoptimiert zu kompakte Bauweise, gegen falsch verstandene Verdichtung und Grundrisse mit Raumtiefen, in denen Arbeitende in Abwesenheit von Tageslicht im fahlen Schein des Kunstlichts vor sich hindämmern.

Es ist wichtig zu wissen, dass Tageslicht auch bei der nicht visuellen Wirkung von Licht kostenfrei und ohne energetischen Aufwand gegenüber dem Kunstlicht grosse Vorteile mit sich bringt. Tageslicht steuert unseren Hormonhaushalt und ist unabdingbar für unsere Gesundheit. So steht in der Einleitung der SN EN 17037: «Tageslicht kann erhebliche Mengen an Licht in Innenräumen mit hoher Farbwiedergabe und Variabilität, die sich je nach Tageszeit und Jahreszeit ändert, liefern. Tageslichtöffnungen bieten eine Aussicht und eine Verbindung nach aussen und tragen zum seelischen Wohlbefinden der Gebäudenutzer bei. Eine Tageslichtöffnung kann darüber hinaus Sonnenlicht in Innenräumen ermöglichen, was beispielsweise in Wohnungen, Krankenhausstationen und Kindergärten wichtig ist.»

ARGE Guignard & Saner Architekten, Michael Josef Heusi: Schule Halden, 2018 (Foto: Roland Bernath)
Die Bewertungskriterien der SN EN 17037

Eine Norm ist nur so gut wie die Kriterien, nach denen sie bewertet. Die SN EN 17037 tut dies mit vier Kriterien. Diese sind die Tageslichtversorgung, die Aussicht, die Besonnungsdauer und der Schutz vor Blendung. Die Kriterien sind in der Begriffswahl eindeutig und gut unterscheidbar.

Die Tageslichtversorgung bezeichnet die Menge des Tageslichts. Ein Raum gilt als ausreichen mit Tageslicht versorgt, wenn eine Ziel-Beleuchtungsstärke (zum Beispiel 500 lx für eine Bürofläche) über einen Anteil der Nutzfläche für mindestens die Hälfte der Tageslichtstunden erreicht wird. Darüber hinaus muss eine festgelegte Mindestziel-Beleuchtungsstärke (zum Beispiel 300 lx für eine Bürofläche) erreicht werden. Darunter darf die Beleuchtungsstärke in mindestens der Hälfte der Tageslichtstunden auf dem Grossteil der Nutzfläche nicht absinken. Dies sichert nicht nur ein Minimum, sondern sorgt auch für eine gleichmässigere Verteilung des Tageslichts. Die zu erreichenden Anteile der Nutzfläche sind in der Norm präzisiert und abhängig davon, ob eine Tageslichtöffnung vertikal oder anders gestaltet ist.

Die Aussicht bietet eine visuelle Verbindung zur Umgebung, um Informationen über den lokalen Kontext, Wetterveränderungen und die Tageszeit zu liefern. Diese halten aktiv und lindern Müdigkeit, die Veränderungen der Szenerie und des Fokus erfrischt und entspannt. Eine natürliche Aussicht wird gegenüber einer Aussicht auf von Menschen geschaffene Umgebungen bevorzugt, und eine weite und ferne Aussicht wird mehr geschätzt als eine enge und kurze; eine vielfältige und dynamische Aussicht ist interessanter als eine monotone. Drei Ebenen werden bei der Bewertung der Aussicht betrachtet: Himmel, Landschaft und Boden. Die Qualität der Aussicht steigt mit der Breite des Sichtwinkels, der Sichtweite und der Anzahl der sichtbaren Ebenen.

Die Besonnungsdauer ist ein weiteres wichtiges Kriterium für einen Innenraum und kann zum menschlichen Wohlbefinden beitragen. Eine Mindestbesonnungsdauer sollte in Patientenzimmern von Spitälern, in Spielzimmern von Kindergärten und in mindestens einem Wohnraum einer jeden Wohnungen sichergestellt werden. Dies wird durch Angabe einer Mindestanzahl an Stunden, während der dieser Raum direktes Sonnenlicht an einem klaren, wolkenlosen Bezugstag des Jahres erhält, erreicht. 

Das vierte Kriterium ist der Schutz vor Blendung. Blendung ist eine negative Empfindung, die durch helle Bereiche mit einer grösseren Leuchtdichte (Helligkeit) als für das menschliche Auge verträglich verursacht wird und zu Belästigung, Unwohlsein oder reduzierter Sehleistung und Sichtbarkeit führt. Direktes Sonnenlicht oder hohe Leuchtdichteunterschiede zwischen hellen und dunklen Bereichen im Sichtfeld können zu einem Blendungsrisiko führen. Zur Beurteilung wird die Tageslichtblendungswahrscheinlichkeit (DGP, englisch: Daylight glare probability) beigezogen.

Blick ins helle Atrium der Schulanlage Bäumlihof von Enzmann Fischer Architekten. 2018 wurde das Bauwerk aus den 1970er-Jahren von den Zürcher Architekten und Michael Josef Heusi totalsaniert. (Foto: Mitch Enzmann)
Diese Grafik zeigt die problematische Belichtung von Standard-Klassenräumen in der Schweiz. (Grafik: © Michael Josef Heusi)
Hohe Ansprüche an die Architektur: Die SN EN 17037 in der Praxis

Für die Berechnung respektive die Verifizierung der Kriterien hält die SN EN 17037 vereinfachte und erweiterte Verfahren bereit. Nach unserer Erfahrung genügen die vereinfachten Verfahren für einen Grossteil der Bauten. Bei allen vier Kriterien können drei Empfehlungsstufen erreicht werden. Diese sind: gering, mittel und hoch. Und hier ist ganz wichtig zu verinnerlichen, dass diese qualitative Beurteilung nicht absolut, sondern relativ zu verstehen ist. Es ist keine Ampelbewertung in Rot, Gelb und Grün. Die Planenden sind gefordert, die Resultate in den Kontext einzuordnen. Eine Tageslichtversorgung, welche die Stufe «gering» erreicht, kann bei einem Bürogebäude im innerstädtischen Bereich mit hoher städtebaulicher Verschattung ein durchaus annehmbares Resultat sein. Es braucht also auch Kompetenz auf Bestellerseite, damit im Projektpflichtenheft eines Bauvorhabens nicht unrealistische Ziele formuliert werden.

In unserem Büro für unabhängige Tages- und Kunstlichtplanung wenden wir die Norm seit ihrer Erstpublikation an. Die Anforderungen der SN EN 17037 an die Architektur sind hoch. Dies hat damit zu tun, dass sich die Vorgaben nicht nach dem richten, was wir heute gewohnt sind zu bauen, sondern nach dem, was langfristig nachhaltig ist und unsere Gesundheit nachweisbar positiv beeinflusst.

Die Grafik zeigt das zweiseitige Belichtungskonzept, das Roland Gross für alle Unterrichtszimmer in der Schulanlage Riedenhalden gewählt hat. (Grafik: © Michael Josef Heusi)
Die beiden Grafiken zeigen die Tageslichtverteilung in einem gewöhnlichen Schweizer Klassenzimmer (links) und in einem Unterrichtsraum des Schulhauses Riedenhalden. (Grafiken: © Michael Josef Heusi)
Die Baugeschichte lehrt den geschickten Umgang mit Tageslicht

Nehmen wir ein Beispiel aus der Praxis. Die meisten Bildungsbauten bis Stufe Gymnasium, die hierzulande neu gebaut werden, haben denselben Standard hinsichtlich der Klassenzimmer: Rund 70 bis 80 m2 Grundfläche, 7 bis 8 m Raumtiefe, 3 m Raumhöhe und eine einseitige Befensterung. Dies entspricht einem Raum mit einer ungenügenden Tageslichtversorgung und zu hohen Helligkeitsunterschieden. Ein Blick in die Architekturgeschichte zeigt, warum das so ist. Bildungsbauten, die um die Jahrhundertwende entstanden, weisen bei ähnlicher Grundfläche Raumhöhen von 4 m und mehr auf. Der sichtbare Himmelsanteil, der direktes Tageslicht in den Raum strömen lässt, ist dadurch viel grösser. Die Tageslichtversorgung dieser Räume ist wesentlich besser. Diverse Bildungsbauten aus der Nachkriegsmoderne warten mit tageslichteffizienten Konzepten auf, und zwar in Form einer zweiseitigen Belichtung über Oberlichtbänder, einer Belichtung mittels Sheddächern oder durch Geschossverschiebung im Schnitt und dadurch entstehenden Oberlichtern. Was wir hingegen heute oft bauen, ist hinsichtlich der Baukubatur so stark reduziert, dass die Tageslichtperformance auf der Strecke bleibt. Mit Kunstlicht bessern wir dann nach, was wir mit einem guten Tageslichtkonzept kostenlos und ohne CO2-Emissionen zu verursachen hätten erreichen können. 

Wir können also aus der Vergangenheit lernen. In unserem Planungsbüro tun wir dies zwecks Weiterbildung: Wir untersuchen Bauten aus der Architekturgeschichte auf ihre Tageslichtperformance und nutzen die Erkenntnisse in unseren Projekten und indem wir Architekt*innen in der Wettbewerbsphase unterstützen. Im Wettbewerb werden die Weichen für das Tageslicht gestellt.

Michael J. Heusi gründete 2004 das bis heute erfolgreiche und unabhängige Lichtdesignbüro MICHAELJOSEFHEUSI GmbH. Auszeichnungen, internationale Preise und Publikationen über viele Jahre zeugen von konstant hoher Qualität der Projekte. Michael Josef Heusi ist Professional Member in die International Association of Lighting Designers IALD und Mitglied verschiedener Arbeitsgruppen in der SIA, der SLG und der VSI.ASAI. Weiter hält er regelmässig Referate an lichtrelevanten Symposien und lehrt an der Hochschule Luzern im Bereich Tages- und Kunstlichtplanung.

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