Wohnen über einer Pariser U-Bahn-Werkstatt

Christ & Gantenbein
28. März 2024
Foto: © Walter Mair
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Die Logements Vaugirard in Paris definiert ein Grundstück im 15. Arrondissement neu. Die Besonderheit dieses Projekts liegt in der Kombination zweier Programme: Im Erdgeschoss ist eine Werkstätte für die Wartung und Instandhaltung von Metro-Bahnen der RATP untergebracht. Darüber befinden sich auf fünf Geschossen über 100 Sozialwohnungen. Unser Beitrag hat sich auf das Wohnen beschränkt, das Erdgeschoss wurde von Dominique Lyon Architectes entwickelt. 

Diese Mischung aus urbaner Komplexität und hochwertigem Wohnen stellt eine einzigartige Kombination aus Infrastruktur und urbanem Leben dar. Das Projekt versteht sich als Bekenntnis zur Stadt des 19. Jahrhunderts, gibt ihr aber eine radikal neue Interpretation, die sehr viel mit den spezifischen Bedingungen dieses hochaktuellen Projekts zu tun hat. Verdichtung und Nutzungsmix sind hierbei die Stichwörter. 

Foto: © Walter Mair
Foto: © Walter Mair
Welche Inspiration liegt diesem Projekt zugrunde?


Die Logements Vaugirard sind unter anderem inspiriert von einer Forschungsarbeit über Pariser Wohntypologien, die wir im Rahmen unseres Studios an der ETH Zürich durchgeführt haben, und darf als eine direkte Anwendung dieser Studien und der aus ihnen gewonnenen Erkenntnisse betrachtet werden – sowohl morphologisch als auch typologisch. 

Jedes Gebäude ist ein Einzelfall, aber dennoch entstehen innerhalb einer Stadt alle Bauwerke unter ähnlichen Bedingungen, insbesondere Wohngebäude. Es gibt eine ständige Verhandlung zwischen der Homogenität der Stadt und der Individualität jedes dieser Gebäude. Die Typologie ist kein stabiles, definitives Schema – sie entwickelt sich weiter, wenn sie durch veränderte Bedingungen beeinflusst wird. In Paris ist das Motiv der geschlossenen Strasse, das den Haussmannschen Prinzipien folgt, immer wieder zu finden. Infolge von Hygienemassnahmen wurde der Block dann geöffnet und der Innenhof aufgewertet. 

Wir haben sehr direkt auf diese Vorbilder Bezug genommen und deren räumliche und architektonische Prinzipien variiert und neu interpretiert. Dies gilt sowohl für den Ausdruck und die Organisation des Volumens als auch für die Organisation der Grundrisse. Neben der neu angelegten Strasse ist zu erkennen, wie das Wohnhaus das Prinzip des redents nutzt und durch eine mäandrierende Grundrissform die Fassadenflächen erhöht, wodurch mehr Licht in die Wohnungen gelangt.

Foto: © Florent Michel
Foto: © Walter Mair
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Städtebau – die Stadt des 19. Jahrhunderts und der Haussmannsche Kontext – war für uns von Relevanz, zusammen mit klaren architektonischen Elementen wie zum Beispiel den sich wiederholenden Proportionen des Fenêtre Parisienne. Charakteristisch sind weiter die gefalteten Metallläden, die sogenannten «Persienne», die wir dem klassischen Vokabular der städtischen Fassaden entnommen haben.

Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Es ging uns darum, einen Plan für ein Gebäude auszuarbeiten, der die Idee der Strasse bestätigt. Die lange Fassade wird als eine Reihe von Volumen wahrgenommen, in denen ein einziger Fenstertyp für alle 104 Wohnungen strikt wiederholt wird. 

Wir haben einen traditionellen Pariser Grundriss mit Enfiladen und diagonalen Ausblicken gestaltet. Da es sich um einen Sozialwohnungsbau handelt, der strengen Normen und Zwängen unterliegt, haben wir uns um Kompaktheit und Rationalität, aber auch um Würde und Grosszügigkeit bemüht.

Die Thematik der sich überlagernden Funktionen wirkt sich auf alle Aspekte des Projekts aus. Sie bestimmt die Lage der Eingangsbereiche und der Treppenhäuser, die Positionierung der Wohnungen und die sich daraus ergebende städtebauliche Form mit ihren Wellenbewegungen, die ihrerseits vielfältige Aussichten und diverse Möglichkeiten für Grundrisse und eine verbesserte natürliche Belüftung bietet. Die natürliche Belichtung erstreckt sich auch in die Treppenhäuser, was die Kosten weiter begrenzt.

Konstruktiv wird ein Stahlbetongerüst durch eine Fassadenverkleidung aus grossformatigen, vorgefertigten Holzelementen ergänzt. Die Wahl von Holz erleichtert die Konstruktion, reduziert die Kosten für die aufgesetzten Strukturen und verbessert gleichzeitig den ökologischen Fussabdruck des Gebäudes.

Wichtig sind uns nicht zuletzt die Loggien: Die Loggia ist baurechtlich gesehen ein Balkon. Das sehr strenge und ökonomisch prekäre Regime des sozialen Wohnungsbaus macht millimetergenaue Vorgaben und gibt klare Beschränkungen vor. Durch das Umwidmen der Balkone in Loggien konnte diesem System in gewisser Weise zusätzlicher Wohnraum abgerungen werden. Die Loggia ist anders als eine Terrasse über das ganze Jahr nutzbar, schützt vor Lärm und schafft zusätzliche Intimität in einer städtisch dichten Situation. 

Foto: © Walter Mair
Foto: © Walter Mair
Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Eine Metallfassade aus transparent lackiertem Stahl umhüllt das Gebäude und verweist auf die Dächer von Paris. Neben den vertikal betonten Proportionen der Paneele bestimmen auch die horizontalen «corniches» (Gesimse) den Rhythmus und die Gliederung der Fassade. Auf jedem Geschoss ist eine solche ebenfalls in Metall ausgeführte Traverse eingefügt. Sie dient auch der Unterbrechung des hinterlüfteten Raumes und so dem Brandschutz in der Fassade. 

Foto: © Florent Michel
Situation (© Christ & Gantenbein)
Grundriss 2. Obergeschoss (© Christ & Gantenbein)
Grundriss 5. Obergeschoss (© Christ & Gantenbein)
Bauwerk
Logements Vaugirard Paris
 
Standort
Rue Théodore Deck, 75015 Paris
 
Nutzung
Wohnbau
 
Auftragsart
Wettbewerb, 1. Preis
 
Bauherrschaft
RATP Habitat, Paris
 
Architektur
Christ & Gantenbein, Basel, zusammen mit Margot-Duclot Architectes, Paris
  • Team Christ & Gantenbein: Emanuel Christ, Christoph Gantenbein, Jean Wagner, Arthur Clauss, Thibaut Dancoisne und Cloé Gattigo
 
Fachplaner
Bureau Veritas
SETEC Bâtiment Paris
INEX
AVLS acoustique
 
Bauleitung
Christ & Gantenbein und Margot-Duclot Architectes
 
Fertigstellung
2023
 
Gebäudevolumen
10'500 m² GFA, 124 m Länge
 
Fotos
Walter Mair und Florent Michel

Vorgestelltes Projekt

TK Architekten

Revitalisierung Shopping Center «Serfontana»

Andere Artikel in dieser Kategorie