Schweizer Architektur im Allgäu

Elias Baumgarten
10. April 2024
Foto: Elias Baumgarten

Einige flache Hallen grosser Supermärkte, dann geht es rechts ab ins Wohngebiet. Hier soll es ein weit über die Region hinaus bekanntes Kunstmuseum geben? Ein ungläubiger Blick aufs Navi, dann plötzlich eine Hofmauer aus Backstein, dahinter ein scharf geschnittener kubischer Bau: Meine Reise aus Zürich hat mich in die bayerische Provinz geführt, genauer nach Marktoberdorf. Die Kleinstadt liegt im Osten des Allgäus, einem Landstrich im äussersten Süden Deutschlands, nicht weit von der Schweizer Grenze und dem Bodensee entfernt. Die Gegend ist vor allem bei Naturverbundenen und Sportfans beliebt, die das ganze Jahr über die Voralpenlandschaft geniessen. Kulturelle Angebote hingegen sind in der sehr ländlich geprägten Region weniger zu finden, und Bauwerke international anerkannter Büros haben Seltenheitswert. Marktoberdorfs Stadtrat jedoch fördert die Kultur schon seit Ende der 70er, und die Stadt konnte eine ansehnliche Sammlung zeitgenössischer Arbeiten einheimischer Künstlerinnen und Künstler aufbauen. Seit 1989 werden sie im Dr. Geiger-Haus gezeigt, einer Villa aus den 1920er-Jahren. Als der Platz in dem historischen Bau nicht mehr reichte, wurde ein Neubau auf dessen Grundstück geplant. Entwerfen sollten ihn Schweizer: Valentin Bearth, Andrea Deplazes und Daniel Ladner. Die Einweihung ihres Bauwerks wurde 2001 gefeiert. Über zwanzig Jahre ist das nun her. Was ist seither aus dem Museum geworden? Das möchte ich bei meinem Besuch herausfinden.

Foto: Elias Baumgarten
Foto: Elias Baumgarten
Eine Werkstatt, die herausfordert

Das minimalistische Äussere des Künstlerhauses, dessen teils von Kletterpflanzen bewachsene Fassade zur Strasse komplett geschlossen ist, verrät noch nichts vom räumlich reichen Innenleben der beiden aneinandergeschobenen Kuben: Der Kontrast zwischen den beiden schmalen, hohen Treppenhäusern, in denen nur die Stufen beleuchtet sind, und den hellen, weiten Ausstellungsräumen ist wunderbar. Ein Luftraum, an dessen oberen Ende Tageslicht durch fünf hohe Fenster mit sandgestrahlten Scheiben fällt, verbindet alle drei Geschosse. Sofort fallen auch die wenigen, robusten Materialien auf: Die innen wie aussen unverputzten Wände bestehen aus über 100'000 rotbraunen Backsteinen, die mit grobkörnigem Mörtel im Kreuzverband vermauert sind. Schwere Fichtenbohlen, direkt auf weiss lackierte Stahlträger montiert, bilden die Böden im Erd- und Obergeschoss. Auch im Untergeschoss ist der Boden unverwüstlich: Er besteht wie die Mauern aus Klinker. Valentin Bearth, Andrea Deplazes und Daniel Ladner haben das Haus auch als Werkstatt entworfen: Architekturstudierende der Universität Innsbruck und der FH Augsburg lernten hier, Projekte mit Kindern finden immer wieder statt und sogar Partys wurden schon gefeiert. Das Museum zu einem Forum zu machen, zu einem Ort der gelebten Auseinandersetzung mit der Kunst, ist ein Konzept, das man heute öfter findet, gerade auch in der Architekturvermittlung. Aber Künstlerinnen und Künstler stellt das Haus vor Herausforderungen, müssen sie doch auf die kraftvolle Architektur reagieren. Obwohl sich das Künstlerhaus als Ausstellungsraum bewährt hat, sind nicht alle immer glücklich: Gerade Gemälde und Fotografien zu zeigen, ist bisweilen anspruchsvoll. Installationen und Skulpturen profitieren leichter von den Räumen. 

Foto: Elias Baumgarten
Unerwartet zeitgemäss: Ein Kunstraum als Lowtech-Bau

Kunstwerke sind meistens sehr sensibel, Luftfeuchtigkeit und Temperatur müssen in Museen stimmen. Valentin Bearth, Andrea Deplazes und Daniel Ladner schaffen das in Marktoberdorf mit verblüffend einfachen Mitteln. Komplizierte Haustechnik gibt es in ihrem Künstlerhaus nicht, eine Sockelheizung reichte den Bündner Architekturprofessoren: Sie liessen Kupferrohrschleifen knapp über dem Boden einmauern, in denen erwärmtes Wasser zirkuliert – ein Konstruktionsprinzip, das seit der Antike bekannt ist. Die durchgemauerten Wände des Museums sind über einen halben Meter dick. Sie wirken als träge Massespeicher: Wärme geben sie langsam und gleichmässig ab, bei sommerlicher Hitze erwärmen sie sich nur allmählich. Ausserdem sorgt das Mauerwerk, dessen Steine in Bayern hergestellt wurden, für eine nahezu konstante Luftfeuchtigkeit.

Anders als zur Entstehungszeit des Künstlerhauses ist das umweltfreundliche und klimagerechte Bauen heute ein grosses Thema im Architekturdiskurs. Während die Bauindustrie hochtechnisierte, «smarte» Lösungen anbietet, um energiesparende und doch behagliche Häuser zu bauen, interessieren sich Architektinnen und Architekten vermehrt für Lowtech-Konstruktionen. So hat zum Beispiel das tansanisch-schweizerische Büro APC Architects kürzlich zusammen mit Wolfgang Rossbauer im Norden Tansanias eine Schule aus lokalem Vulkangestein gebaut, die ohne Haustechnik auskommt. Und die junge Architektin Saikal Zhunushova wurde in den letzten Jahren für ihre durch die Sonne geheizten Häuser aus Naturbaustoffen bekannt. Das verleiht dem robusten Bau von Bearth & Deplazes Architekten eine neue Aktualität, zumal sich seine Konstruktion, die ohne Beton auskommt, seit über zwanzig Jahren im Alltag bewährt. Bisher ist sie sehr gut gealtert.

Foto: Elias Baumgarten
Kein Anhängsel: Das sanierte Dr. Geiger-Haus

Ein verglaster Gang verbindet das Künstlerhaus mit der benachbarten Villa. Und auch hier hat sich etwas getan: Die junge Marktoberdorfer Architektin Franziska Singer, die ein Büro in Zürich betreibt, nutzte eine anstehende Brandschutzertüchtigung, um die Ausstellungsräume aufzuwerten: Die Teppichböden tauschte sie gegen neue Linoleumbeläge, und auch die Raufasertapete musste weichen. Ausserdem illuminieren speziell für Museen entwickelte ERCO-Leuchten die Kunstwerke. So stehen im historischen Wohnhaus des Arztes und Kulturmäzens Dr. Julius Geiger mittlerweile neben den dort untergebrachten Büros und Lagerräumen Ausstellungsflächen zur Verfügung, die das Angebot im gepflegten Neubau ergänzen. 

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