Busterminal Twerenbold

14. August 2006

Busterminal Twerenbold
Rütihof

Bauherrschaft
Twerenbold Service
Rütihof

Architektur

Knapkiewicz & Fickert
Zürich

Harald König
Thomas Grahamer

Ingenieure
Lüchinger Meyer
Zürich

Auftragsart
Wettbewerb auf Einladung
2003

Anlagekosten
(BKP 1–9)
ca. CHF 9 Mio.

Gebäudekosten
(BKP 2/m³)
ca. CHF 46.–

Das neue Terminal mit Wartehalle hebt sich von der alten Garage ab und bietet Schutz für zwölf Reisecars.

Die Umkehrung
Die Aufgabe, deren spektakuläre Lösung in Rütihof bei Ba­den zu besichtigen ist, ist eine verhältnismässig banale: Der Bau einer Abfahrtshalle für Reisebusse. Die Firma Twerenbold feierte letztes Jahr ihr 110-jähriges Jubiläum. Sie zählt zu den grössten Reisebusunternehmen der Schweiz. Mehrtägige Fahrten innerhalb Europas sind die Spezialität der Firma, die auch schon mal die komplette Semperoper in Dresden mietet oder mit einem Dutzend Cars zu ‹Schwanensee› oder ‹Aida› rollt. Die Bauherrschaft lud sieben Büros ein, einen Vorschlag zur Umgestaltung und Erweiterung ihrer bestehenden Anlage (Baujahr 1989) abzugeben, womit wir schon beim Hauptproblem wären: Wie geht man mit einer Anlage um, die ambitionierte Detaillierung mit architektonischer Banalität verbindet? Ein dreigeschossiger symmetrischer Kopfbau steht vor der ungefähr 75 Meter langen, alten Halle wie eine Lokomotive vor ihren Waggons. Das Siegerprojekt baut diese nun an ihrem hinteren Ende weiter, faltet das Terminal förmlich aus dem Bestand heraus und überhöht das Ensemble, auch im übertragenen Sinn. Das neue Dach beschert ihm einen neuen frischen Schwerpunkt – oder, um im Bild zu bleiben, einen modernen Hochgeschwindigkeitstriebkopf. Knap­kiewicz & Fickert kehren die Richtung des Zuges um und machen aus der alten Lok einen Anhänger.






Flügeldach aus Stahl und PVC-Folie

Mit der neuen Raumfolge beginnt das gebuchte Erlebnis bereits bei der frühmorgendlichen Abfahrt: Die Teilnehmer rollen mit ihrem Auto in die beiden Parkebenen unter das Terminal, kommen per Treppe oder Lift in die 320 Quad-­
ratmeter grosse Wartehalle und blicken Kaffee trinkend ebenso in den beeindruckenden Terminalraum wie in die bestehende Halle auf der anderen Seite. Ihre einstige Aussenwand wurde grossflächig aufgeschnitten und verglast. Das Terminal überspannt eine trapezförmige Fläche mit einer Kantenlänge von ungefähr 33 auf 56 Metern und bietet Platz für zwei Cars hinter- und sechs nebeneinander.
Das Dach überspannt Stellfläche und Wartehalle. Wie die Flügel der legendären Graupner-Segelflugmodelle (Graupner war das Kennwort des Projektes) ist das Dach ein bespannter unregelmässiger Körper – hier allerdings nicht aus Balsaholz und Seidenpapier, sondern aus Stahl und grüner PVC-Folie. Darauf ist eine stark vergrösserte Europakarte gedruckt. Seine Aussenseite ist mit grün-gelb gestreiftem Scobalit belegt. Ist die Form der Flugzeug­flügel der Aerodynamik geschuldet, so folgt diejenige des semitransparenten Faltwerks in Rütihof den Bedingungen des Raums darunter: Die Schrägstellung im Grundriss ermöglicht das rangierlose Einfahren der Busse, die aus ihrer alten Halle in die neue schwenken und von dort weiter auf die Strasse. Diesen Ablauf überhöht das Dach nun zu einer Geste: Dem höchsten Punkt der Einfahrtsseite liegt derjenige der Ausfahrtsseite diagonal gegenüber. Dass Twerenbold seine Busse nun von beiden Seiten in das Terminal rollen lässt, tut eigentlich nichts zur Sache. Die Geste bleibt: Auf in ferne Länder!

In der Wartehalle ziehts die Blicke zum Dach auf die mit einer Europakarte bedruckten, grünen PVC-Folie. Die Details der Tragkonstruktion fallen nicht ins Gewicht.

Dach trägt auch Boden
Im Detail ist das Vorbild des Graupner-Flügels alles andere als konsequent umgesetzt. Ja, es scheint, als hätten die Architekten sich während der Realisierungsphase mit einer wahren Lust daran gemacht, Klarheiten zu brechen und Widersprüche zu erzeugen. So zeigt sich die ansonsten verschleierte Stahlkonstruktion an ihren seitlichen Stirnen mit je einem unverkleideten, bis zu drei Meter hohen Träger, der sich an seinem hinteren Ende mit der Hauptstütze zu einem biegesteifen Winkel verbindet. So wie Träger und Stütze ineinander wachsen, so setzt sich auch die innere Dachhaut an der seitlichen Abschlusswand fort. An deren Aussenseite findet sich jedoch kein Scobalit, sondern eine graue Folie. Das Fachwerk in dieser Wand trägt nicht nur das Dach, sondern auch einen Teil des Bodens über der Tiefgarage. Deren Einfahrt wird dadurch eher als Geländeeinschnitt wahrgenommen, nicht als Loch.

Das neue Abfahrtsdach mit Warteraum (links) ergänzt die bestehenden Gebäude.

Gebastel und GU-Problematik
Überhaupt: Das Abenteuer der Statik! Das andere Ende des Daches ruht auf zwei schrägen Betonstützen im Bereich der Wartehalle. Der mit über 60 Metern längste Dachträger geht über die Diagonale und benötigt eine zusätzliche Unterspannung, die als einziges Teil der Konstruktion aus der Europakarte herausragt. Das Ganze sei kein «intelligen­tes» Konzept, sagt Axel Fickert, also etwas, bei dem Raum und Konstruktion sich gegenseitig bedingen. Vielmehr ha­­­be man zusammen mit dem Ingenieur Daniel Meyer nach mög­lichst pragmatischen Lösungen gesucht, den gewünschten
Raum zu erzeugen. Die durch die komplizierte Geometrie entstandenen unsauberen Knotenpunkte bei Haupt- und Nebenträger wurden bewusst in Kauf genommen. Ein solches «Gebastel» sei aber auch der «GU-Prob­lematik» entgegen gekommen: Die Details sind von den Architekten bewusst mit grosser Toleranz entworfen worden. Fickert: «Der Raum ist wichtiger als irgendeine Ecke.»

Querschnitt: Das Dach besteht aus einer komplizierten, mit PVC bespannten Stahlkonstruktion; unter der Halle die Tiefgarage.

Marokko-Brasilien-Rütihof
Pragmatik hin oder her – es sind gerade die ‹armen› Details der Konstruktion, mit denen die Architekten die Atmosphäre ihres Entwurfes steuerten. So entschieden sie sich bei der Montage der Dachuntersicht schliesslich gegen Spannrahmen, wie sie zum Beispiel Coop Himmelb(l)au bei den Türmen der Expo-Arteplage in Biel verwendeten. Stattdessen behandelten sie die Folie wie Segel und befestigten sie mit einer sichtbaren Schnürung an einfache Stahlrohre. Das Scobalit der Dachhaut erinnert ebenso an
die Vulgarität des Agglo-Gewerbes wie die seitlichen Stahl­träger ohne Oberflächenfinish. An anderer Stelle agie­ren Knapkiewicz & Fickert wiederum bewusst elaborierter. So folgen feine Neonröhren der Unterseite der fächerartigen Hauptträger und handgemachte Zementfliesen aus Marok­ko tauchen die Wand der Wartehalle in ein grossflächiges Muster – ein kleinmassstäblich geschmückter Rücken, der Halt gibt in der irgendwie brasilianischen Weiträumigkeit der Halle. Dieser Busterminal holt nicht bloss Zürich nach Rütihof, sondern die weite Welt.

Grundriss EG: Die neue Stahlkonstruktion mit dem 60 Meter langen, diagonalen Träger, der Warteraum und die bestehende, 75 Meter lange Halle mit Kopfbau von 1989.

Busterminal Twerenbold
Rütihof

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Knapkiewicz & Fickert
Zürich

Harald König
Thomas Grahamer

Ingenieure
Lüchinger Meyer
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Auftragsart
Wettbewerb auf Einladung
2003

Anlagekosten
(BKP 1–9)
ca. CHF 9 Mio.

Gebäudekosten
(BKP 2/m³)
ca. CHF 46.–

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