Mehrfamilienhaus

4. September 2006

Mehrfamilienhaus
2006

Zugerstrasse
Steinhausen ZG

Architektur
Scheitlin-Syfrig + Partner Architekten
Luzern

Ingenieur Holzbau
Makiol + Wiederkehr
Beinwil am See

HLKS
Gloor + Sehringer
Reinach AG

Bauphysik
Ragonesi Strobel & Partner
Luzern

Generalunternehmung
Renggli
Sursee

Gebäudekosten
(BKP 2)
Carport und Stützmauern
CHF 7,18 Mio.


Auf- und Abschwünge
Seit siebzig Jahren wandelt sich die Art und Weise stetig, wie Holz als Bauwerkstoff verwendet wird. In der Mangelwirtschaft vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg war Holz der Baustoff schlechthin. In dieser Zeit begann die industrielle Produktion von Span- und Sperrholzplatten sowie von Leimholzträgern; die Holzplattenindustrie entstand. Aber man baute kaum isolierte Aussenwände und Dächer mit schlanken Dimensionen. Die Zwischenwände bestanden aus einer einfachen Schicht von Brettern. Entsprechend war das Klima in den Häusern entweder zu heiss oder zu kalt und meist zu laut.
Mit dem aufkommenden Wohlstand fand der Wechsel zu Backstein und Beton statt. Die Massivbauweise mit Stein kündet seit je vom Wohlstand der Besitzer, darauf zählte man. Doch die Sanierungswelle, die heute diese Massenprodukte der Nachkriegsjahre erfasst, zeigt: Qualität ist weniger eine Frage des Materials als vielmehr eine Frage des Konstruierens. Doch der Ruf von Holz als Bauwerkstoff für Primärkonstruktionen war zerstört, und dies mit Nachwehen bis heute. Nachteilige Brandschutzregelungen, eine Holzindustrie, die auf dem Glanz vergangener Jahre sitzen blieb, und parallel dazu steigende Anforderungen an den inneren Schallschutz trugen ihrerseits zum schlechten Ruf bei. Holz war bestenfalls noch dekoratives Dachwerk für die Wohnstube der Siebziger- und Achtzigerjahre, heimelig, aber nicht trendig und schon gar nicht innovativ. Da­ran änderte auch wenig, dass man Holz für die ersten ‹Öko-Häuser› verwendete.

Das erste so hohe Holzhaus der Schweiz ist von aussen ein trockener Schrank. Doch die Balkone weisen auf innere Werte hin.


Es brauchte Namen wie Peter Zumthor oder Herzog & de Meuron und Pioniere des Holzbaus wie Michael Alder und die Ingenieure Julius Natterer, Hermann Blumer und Walter Bieler, bis der Trendwechsel Ende der Achtzigerjahre gelang. Die grossen Gestalter eröffneten dem Holz neue Türen mit herausragenden Bauten wie der Eishalle in Davos, der Försterschule in Lyss und der Holzfachschule in Biel. Unter den Unternehmern ging parallel dazu ein Generatio­nenwechsel vonstatten. Die Jüngeren suchten nach frischen technischen Lösungen, unterstützt von neuen Produktionsmitteln wie computergesteuerten Abbindanlagen ebenso wie von günstigen Transportpreisen. Resultat dieses Fortschritts ist die Holzrahmenbauweise: Vorfabrizierte Decken und Wände werden auf der Baustelle montiert.

In allen Wohnungen schliesst ein tief eingezogener Balkon an den Wohnbereich an.

Brand- und Schallschutz erfüllt
Das Mehrfamilienhaus Holzhausen der Luzerner Architekten Scheitlin-Syfrig + Partner markiert den Höhepunkt dieser Reihe von Entwicklungen. Zugleich setzt es wohl den Schlusspunkt hinter die Phase der Pioniere. Es handelt sich um das erste sechsgeschossige Wohnhaus der Schweiz, dessen tragende und trennende Bauteile, mit Aus­nahme des Treppenhauses, aus Holz gefertigt wurden.
Mög­lich ist dies erst seit der neuen Brandschutzverordnung vom 1.1.2005, die Gebäude bis sechs Geschosse aus Holz zulässt. Auch erfüllt das Wohnhaus, das neun Eigentumswohnungen und im Erdgeschoss zwei Gewerbeeinheiten beherbergt, die erhöhten Anforderungen an den Schallschutz gemäss der Sia-Norm 181 ‹Schallschutz im Hochbau›. Damit hat der Holzbau die zwei technisch anspruchsvollsten Herausforderungen gemeistert und sich dem Markt des mehrgeschossigen Wohnbaus erschlossen.

Die gefasste und doch offene Küche hat zwei Eingänge und gliedert den Wohn- und Essbereich in den 5 1/2 -Zimmer-Wohnungen.

Holzrahmen im Kommen
Gleichzeitig verweist der Neubau auf den zukünftigen Um­gang mit Holz als Bauwerkstoff. Waren die Pioniere noch Meister der durchgehenden Gestaltung, die Holz sowohl für die Konstruktion wie auch für die Oberfläche einsetzten und das Material bis ins Detail zu fügen wussten, so steht der Neubau in Steinhausen für ein industrielles Bauen mit Holz: Das Material verschwindet hinter Gips und unter Zementböden. Hier geht der hiesige Trend einher mit dem nordamerikanischen Holzbau: Die Holzrahmenbauweise – eine Weiterentwicklung des Ständerbaus, des­sen Ursprung wiederum im Exportschlager ‹Schweizer Cha­let› des frühen 19. Jahrhunderts zu finden ist – wurde in der USA in den 1830er-Jahren entwickelt.

Der Bauplatz liegt im zugerischen Steinhausen, vis-à-vis einer noch freien Wiese.

Die Holzindustrie produzierte einheitlich schmale Latten im Format ‹two by four› (gemeint sind Zoll, 1 Zoll misst 2,54 cm). Zu einem einfachen Lattenrost zusammengenagelt und ausgesteift mit diagonal angeordneten Brettern entstanden auf einfachste Weise Böden und Wände. Bis heute hat sich diese Bauweise in Nordamerika kaum geändert. Einzig die äusseren und inneren Bretter sind verschwunden. Im Innern ersetzen sie Holzwerkstoff- und Gipsplatten, aussen häufig Kunststoffplatten, die so ziemlich jedes Material imitieren – vom Bruchsteinmauerwerk bis zur Holztäfelung. Diesen unprätentiösen Umgang mit Holz lernten viele junge Schweizer Holzbauunternehmer in den USA kennen und brachten ihn mit nach Hause. Sie verfeinerten die Technik, bis ganze Wand- und Deckenelemente vorgefertigt und auf der Baustelle innert weniger Tage zum fertigen Haus gefügt werden konnten. Im Falle des MFH in Steinhausen dauerte die Montage der Holzbauele­mente nur gerade acht Wochen.
Dass das Konstruktionsholz hinter Gips verborgen bleibt, muss für die Holzindustrie nicht nachteilig sein – im Gegenteil. Entscheidend ist, dass die Ziele des Brand- und Schallschutzes erreicht werden. Die Zukunft wird zeigen, ob die Bewohner genauso empfinden wie es die Schallschutzexperten vorrechnen. Falls ja und falls es den Holzbauern gelingt, noch effizienter vorzufabrizieren und zu montieren, dann steht dem Holzbau im mehrgeschossigen Wohnungsbau eine goldene Zukunft bevor. Nicht zuletzt dem Schweizer Wald täte dies wohl, denn pro Jahr wächst noch immer mehr Holz nach, als genutzt wird.

Das erste so hohe Holzhaus der Schweiz ist von aussen ein trockener Schrank. Doch die Balkone weisen auf innere Werte hin.
Die vier Obergeschosse beherbergen jeweils eine 4 1/2 - und eine 5 1/2 - Zimmer-Wohnung; darüber liegt eine Attika.
Querschnitt. Identische Geschosse sind Voraussetzung für eine rasche Montage.
Detail Wohnungstrennwand

Die Lösung der Schall- und Brandschutzproblematik kann anhand des Detailplans beim Anschluss Geschossdecken-Wohnungstrennwand nachvollzogen wer­den: Der Schallschutz wird wesentlich durch eine biegeweich ausgeführte, abgehängte Decke mittels Gipskarton­plat­ten 1 und durch die Beschwerung des Bodens mittels Zementplatten 2 erreicht (besserer Schallschutz im tief­frequenten Bereich). Durch getrennt auf separaten Wandscheiben aufliegenden Decken­elementen 3 und der GYS-Vorwand­­in­­sta­llation 4 werden Nebenwege in der Schall­übertragung verhindert und gleichzeitig ein optimaler Brandschutz erreicht. Die Ausführung des Treppenhauses vollständig in einem nicht brennbaren Material (Beton) ist Teil des Brandschutzkonzeptes.

www.holzhausen.ch;
technische Dokumentation: [email protected]

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Zugerstrasse
Steinhausen ZG

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Scheitlin-Syfrig + Partner Architekten
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Makiol + Wiederkehr
Beinwil am See

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Gloor + Sehringer
Reinach AG

Bauphysik
Ragonesi Strobel & Partner
Luzern

Generalunternehmung
Renggli
Sursee

Gebäudekosten
(BKP 2)
Carport und Stützmauern
CHF 7,18 Mio.

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