Wiederaufbau

10. November 2006

Wiederaufbau Gondo
2000–2006

Bauherrschaft
Burger- und Wohnhaus

Gemeinde Gondo

Bauherrschaft
Stockalperturm

Stiftung Stockalperturm

Architektur
Durrer Linggi Schmid
Zürich

Bauingenieure
SPI Ingenieure
Brig

VWI Ingenieure
Naters

Bauleitung
ar-architekten
Naters

Ritz Hans Architektur & Planung
Grengiols

Ausführungsplanung und
Bauleitung Stockalperturm
Matthias Werlen Architektur
Brig

Kosten
CHF 7,5 Mio
(Tiefgarage, Dorfplatz
Burger- und Wohnhaus)

CHF 7,3 Mio.
(Stockalperturm)

Auftragsart
Wettbeweb 2001

Steinerne Ruhe: Die drei Neubauten, rechts der Stockalperturm, stemmen sich wie Felsbrocken in den Hang und fassen den neuen schrägen Dorfplatz.

Fotos: Tom Bisig, Basel

Gondo ist eines jener zähen Passstrassendörfer, die sich trotz ihrer unwirtlichen Lage über Jahrhunderte hinweg behauptet haben. Die Nationalstrasse, die das Wallis über den Simplon-Pass mit Italien verbindet, schneidet das am Hang liegende Dorf in zwei Hälften. Gegen den Berg erhebt sich eine 400 Meter hohe Felswand, auf der anderen Seite hat sich der Flusslauf der Doveria tief ins Tal gefressen. Auch nach dem Wiederaufbau ist Gondo ein Strassendorf. Heute aber weitet es sich an jener Stelle, wo im Oktober 2000 ein Erdrutsch eine breite Schneise durch die Häuser riss, zu einem leicht erhöhten Dorfplatz. Im neu geschaffenen Zentrum stehen zwei kantige, monolithische Neubauten: das Burgerhaus und ein Mehrfamilienhaus mit Laden. Die dritte Platzseite fasst die neu erstellte Fassade des mittelalterlichen Stockalperturms, den das Unwetter zu einem Drittel zerstört hatte.
Dass die Aufbauarbeiten sechs Jahre dauern würden, war nicht abzusehen. Zwar brachte die Spendensammlung der Glückskette rund 72 Millionen Franken für die betroffenen Regionen zusammen, doch Gemeinde und Kanton waren sich nicht einig, ob sie Gondo wiederaufbauen sollten. Mit Blick auf die Sicherheit und Nachhaltigkeit schien der Wie­deraufbau fragwürdig. «Wenn die Rettung von Gondo damals nicht von einem Grossteil der Bewohner, der Be­völkerung in der Schweiz und der kantonalen Regierung getragen worden wäre, hätten wir möglicherweise auch die Umsiedlung in ein neues Dorf unterstützt», sagt der Glücks­kette-Direktor Félix Bollmann. Nach Ansicht des da­maligen Gemeindepräsidenten Roland Squaratti war es vor allem die emotionale Verbundenheit mit dem Heimatdorf, welche die Leute von Gondo zum Bleiben bewog.
In den ersten zwei Jahren nach dem Unwetter sicherte die Gemeinde den Hang, nicht zuletzt aus psychologischen Gründen. Die Hauptschäden hatte der Absturz dreier 450 Tonnen schwerer Betonelemente verursacht, die sich wegen der Wasseransammlung aus der Steinschlagschutzmauer oberhalb des Dorfs gelöst hatten. Daher verankerte man die bestehende, etwa zweihundert Meter lange Betonmauer im Erdreich und schloss die entstandene Lücke mit einem Erddamm. Eine Drainage mit mehreren Abflüssen sorgt heute für eine ausreichende Entwässerung.

Die Wohnhäuser kehren dem Felsen den Rücken und öffnen sich mit breiten Fenster, tiefen Loggien und Eingängen zum Tal.

Drei statt sieben Neubauten
Schon während der Hangsicherung schrieb die Gemeinde einen Wettbewerb für den Wiederaufbau der zerstörten Gebäude aus, den die Zürcher Architekten Durrer Linggi Schmid im Jahr 2001 gewannen. Ihr Projekt ‹Adagio› sah innerhalb der Abbruchschneise sieben neue Bauten vor, die sich wie Felsbrocken in den Hang stemmen. Im Jurybericht hiess es, die gewählte Geometrie lasse «die Gebäude zu monolithischen Kraftprotzen wachsen». Während die bestehenden Dorfbauten traufständig zur Strasse stehen, drehen sich die Neubauten mit ihren polygonalen Grundrissen aus dem strengen Raster heraus. Entlang der Abbruchkante sahen die Architekten eine Treppe vor, die im Scheitelpunkt der Schneise zu einer Gedenkkapelle führte. Dieser Pilgerweg scheiterte später wegen Sicherheitsbedenken, da er oberhalb der Steinschlagschutzmauer angelegt war. Zum Gedenken genügt den Bewohnern heu­te eine Glocke auf dem Dorfplatz, die sie einmal im Jahr läuten. Dass die Gemein­de den Wiederaufbau weiter re­duzierte, lag vor allem an unklaren Eigentumsver­hält­nis­sen. Ursprünglich hatten sich die zehn betroffenen Grund­stückseigentümer darauf geeinigt, für Gondos Wiederaufbau die Besitzverhältnisse zu überdenken. Doch für einige Parzellenbesitzer war es zu schwer, nach dem Verlust ihres Hauses auch noch ihr Grundstück herzugeben. So fielen immer mehr Gebäude aus dem Bauprogramm. Übrig geblieben ist das heute realisierte Zentrum mit dem Dorfplatz und der darunterliegenden Tiefgarage, den beiden Neubauten und dem ergänzten Stockalperturm. Die 14,8 Millionen Franken für die Neubauten flossen aus drei Quellen: 2,9 Mio. Franken direkte Spenden, ein Kredit der Gemeinde über 1,2 Mio. Franken und die Beiträge der Glücks­kette, die den grossen Rest deckten.
Beim Zusammentreffen von Alt und Neu setzten die Archi­tekten auf das Vermitteln und nicht das Kontrastieren. Trotz ihrer monolithischen Form fügen sich das Burger- und das Mehrfamilienhaus behutsam in die bestehende Dorfstruktur ein. Beim Stockalperturm ergänzten die Archi­tekten den fehlenden Teil innerhalb des ursprünglichen Vo­lumens. Die einstige Abbruchkante zeichnet sich heute als Grenze zwischen dem originalen Bruchsteinmauerwerk und dem neuen Teil aus gestocktem Beton ab.

Das wieder aufgebaute Gondo trotzt der mächtigen 400 Meter hohen Felswand. Stahlnetze und Erddämme mit Drainagen oberhalb des Dorfes sol­len die Häuser vor Steinschlag und Erd­rutschen schützen.

Ein ‹Autobahnraststätten-Dorf›
Vor Kurzem hat die Gemeinde den Stockalperturm fertig­gestellt. Doch die Bewährungsprobe des Bergdorfs dauert an. Nachdem die Naturkatastrophe bewältigt ist, pla­gen Gondo die gleichen Probleme wie viele Bergstrassendör­fer. Die Einwohnerzahl ist stark zurückgegangen, die Schu­le ringt mit fünf Schülern ums Überleben, das Postbüro wurde vor zwei Jahren nach Simplon-Dorf verlegt. Potenzielle Zuzügler schreckt die mächtige Felswand im Rücken von Gondo ab. Trotz aller Sicherungen birgt die Wand ein Risiko, wie letztes Jahr ein Steinschlag bewies. Noch zehrt Gondo von drei Tankstellen, zwei Läden, einem Restaurant und dem benachbarten Wasserkraftwerk, das dem Dorf neben Arbeitsplätzen auch Wasserzins verschafft.
Was bleibt Gondo als Perspektive? Zunächst der Transitverkehr, von dem Gondo immer schon gelebt hat. Dank der geplanten Umfahrungsstrasse könnte Gondo ein ‹Autobahnraststätten-Dorf› werden: Ein Projekt des Amts für Natio­nal­strassenbau sieht vor, die Strasse im Dorfbereich zu untertunneln und den Zollplatz in einen Parkplatz für Ras­tende zu verwandeln. Zudem will die Stiftung ‹Lebensraum Simplon Süd› den Stockalperweg zu einem Wan­der­weg von Brig nach Gondo ausbauen. Von der Eröffnung des Stockalperturms, der als Seminarhotel dienen soll, erhofft sich das Dorf einen wirtschaftlichen Impuls. Was Gon­do bleibt, ist die Zähigkeit, mit der Berg­dörfer ihre Existenz seit Jahrhunderten verteidigen. Und die Hoffnung, dass die Felswand im Rücken hält.
Katja Hasche

Die Grundrisse des neuen Burger- und des Wohnauses orientieren sich zum Platz, der instand gesetzte Stockalperturm (rechts) ist zum Museum und Hotel geworden.

Der Planungsperimeter umfasste ursprüng­lich einen Grossteil der Abbruchschneise und enthielt sieben neue Bauten, schrumpfte jedoch immer mehr zusammen.

Wiederaufbau Gondo
2000–2006

Bauherrschaft
Burger- und Wohnhaus

Gemeinde Gondo

Bauherrschaft
Stockalperturm

Stiftung Stockalperturm

Architektur
Durrer Linggi Schmid
Zürich

Bauingenieure
SPI Ingenieure
Brig

VWI Ingenieure
Naters

Bauleitung
ar-architekten
Naters

Ritz Hans Architektur & Planung
Grengiols

Ausführungsplanung und
Bauleitung Stockalperturm
Matthias Werlen Architektur
Brig

Kosten
CHF 7,5 Mio
(Tiefgarage, Dorfplatz
Burger- und Wohnhaus)

CHF 7,3 Mio.
(Stockalperturm)

Auftragsart
Wettbeweb 2001

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